Manchen Menschen fällt es unglaublich schwer Verantwortung abzugeben. Sie sind die Antagonisten zu all jenen welche Verantwortung fürchten. Es gibt nichts, was Sie nicht bereit sind zu übernehmen. Es steht ein neues Arbeitsprojekt an, der Nachbar benötigt Hilfe beim Reifenwechsel, die Kinder und deren Freunde müssen vom Fußballtraining abgeholt werden oder der Hund muss zum Tierarzt. Für sich genommen ist Verantwortungsübernahme eine wertvolle und selbstverständlich auch positive Eigenschaft. Oftmals geht sie auch mit hoher Verlässlichkeit einher.
Schwierig wird es jedoch für Menschen welche sich in der Verantwortungsübernahme verlieren. Hierdurch entstehen sogenannte Kosten. Es ist zum einen auf Dauer für die Meisten unglaublich anstrengend „stets parat zu stehen“. Der Stresslevel steigt und viele hetzen von übernommener Aufgabe zu übernommener Aufgabe. Sie fühlen sich überfordert.
Zum anderen kommen zusätzlich die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu kurz. Dadurch dass Sie sich immer und überall verantwortlich fühlen bleibt wenig Zeit auch an sich selbst zu denken.
Da wird der eigene Fitnessstudio Besuch, das Treffen mit Freunden oder gar ein Urlaub hinten angestellt. Dies führt neben dem steigenden Stresslevel auch zu hoher Frustration. Es entsteht in der Folge der Wunsch, es möge jemand Aufgaben abnehmen oder man wolle sich auch selbst mal auf jemanden verlassen können, sich anlehnen und sich entspannen.
Obgleich dieser Wunsch aufkommt, fällt es in den meisten Fällen dennoch schwer die Verantwortung tatsächlich abzugeben. So entsteht eine Art Teufelskreis welche die eben genannten Punkte im Wechsel miteinander vereint. Die Zurückhaltung bis hin zur Unfähigkeit Verantwortung abzugeben kann eine Vielzahl von Ursachen haben.
Einige dieser Gründe möchte ich in diesem Beitrag kurz vorstellen. Eine tatsächliche Bearbeitung der aufgezählten Gründe erfordert in den meisten Fällen professionelle Unterstützung - zum Beispiel durch Psychologische Onlineberatung, da es sich oftmals um tieferliegende psychische Strukturen handelt.
Es kann jedoch schon dem ein oder anderen helfen, sich in einem der Punkte wiederzuerkennen und ein besseres Selbstverständnis für sich und seine Handlungen zu entwickeln. Dementsprechend möchte ich ihnen indiesem Beitrag einige dieser möglichen Ursachen vorstellen.
Kontrolle und Angst vor Kontrollverlust
„Bevor ich es jemand anders erkläre und der es falsch macht, mache ich es lieber selbst.“
Oftmals geht eine hohe Verantwortungsübernahme auch mit einem hohen Selbstanspruch einher. Aufgaben sollen schnell und perfekt erledigt werden. Diese Erwartung gilt dann auch für andere. So kann es sein dass man zwar eine Aufgabe zunächst abgibt, im Nachhinein jedoch nachkontrolliert und nachbessert. Die Kontrolle besteht hierbei nicht nur darin die Aufgabe zu prüfen, sondern vielmehr dass es aufgrund der psychischen Struktur intern wichtig ist, den eigenen Anspruch zu erfüllen, da dieser oftmals mit einem Sicherheitsgefühl „Alles richtig gemacht zu haben“ einhergeht. Weicht etwas von diesem Standard ab entsteht Unsicherheit und es droht ein gefühlter Kontrollverlust. In gewissem Sinne spielt Kontrolle, mehr oder minder, in alle genannten Beispiele hinein. Dennoch gibt es Menschen bei welchen Kontrolle im Vordergrund steht, daher dieser explizite Punkt.
Angst vor Beziehungsabbruch
„Wenn ich nicht immer parat stehe, wenden sich andere ab!“
Einige Menschen haben tief verwurzelte Glaubenssätze welche Ihnen vermitteln, dass andere Menschen sich abwenden werden, wenn sie diese verstimmen. Dies führt nicht nur zu einer übermäßigen Verantwortungsübernahme sondern auch zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung wie Nein-sagen, eigene Bedürfnisse äußern und sich entgegen der Erwartung des Gegenübers zu verhalten. Im Falle der Verantwortungsübernahme bedeutet dass, das es darum geht ein verlassen werden zu verhindern. Daher fällt es den Betroffenen auch so schwer Aufgaben nicht zu übernehmen, da sie die Idee in sich tragen, am Ende alleine da zu stehen.
Wichtigkeit, Verlässlichkeit und Anerkennung herstellen
„Wenn ich viel leiste, alles richtig mache und alles erledige, bin ich für den anderen wichtig.“
In diesem Fall haben Menschen tief in sich die Überzeugung unwichtig zu sein. Dieser Glaubenssatz verleitet sie also dazu, sich für andere besonders wichtig zu machen indem sie Verantwortung übernehmen, sodass die innere Leere durch äußeren Zuspruch gefüllt wird. Oftmals reagieren diese Menschen sehr enttäuscht und auch verärgert, wenn Ihnen im Anschluss kein Gefühl der Anerkennung oder der Wichtigkeit entgegengebracht wird. Dabei haben sie intern einen unausgesprochenen Vertrag – wenn ich die Aufgabe übernehme zollt der andere mir Wichtigkeit und zeigt mir wie bedeutsam ich für ihn bin. Da dieser dann nicht eingehalten wird, kommt es oftmals zu Überreaktionen welche für das Umfeld oft unverständlich sind.
Angst vor Konflikten
„Konflikte sind gefährlich.“
Auch dies spielt häufig eine Rolle. Menschen die Schwierigkeiten in der Konfliktbewältigung haben oder entstehende Konflikte nur schwer aushalten / mit diesen umgehen können, neigen otmals auch zu einer regelrechten Aufopferung durch Verantwortungsübernahme. Dabei ist die Aussicht auf einen Konflikt so bedrohlich, dass alles unternommen wird den anderen nicht zu verstimmen. Ähnlich wie zuvor erwähnt, kann hier auch die Sorge verlassen zu werden eine Rolle spielen. Ein weiterer Grund kann z.B. sein, dass jemand das Gefühl welches in ihm aufkommt in einer Konfliktsituation unbedingt vermeiden möchte, da er dies als unaushaltbar empfindet und sich selbst schwerlich beruhigen kann. Es läge indem Fall also eine Schwierigkeit in der Emotionsregulation dem Verhalten zugrunde.
Erfüllung moralischer Vorstellungen und Normen
„Ein guter Mensch trägt Verantwortung!“
Menschen mit einem hohen Anspruch an Normerfüllung neigen dementsprechend zu Verantwortungsübernahme, sofern sie eine entsprechende Norm verinnerlicht haben. Hier wird die Normerfüllung, in unserem Beispiel die Verantwortungsübernahme, zu einer einzuhaltenden Regel – „Ich muss anderen Helfen / Ich muss andere unterstützen.“ Befolgt derjenige die eigene Regel und erfüllt diese Norm, so löst dies ein positives, stimmiges Gefühl aus. Ein Verstoß oder nicht einhalten führt zu einem sehr starken, schlechten Gewissen. Dies kann so weit führen, dass die Gedanken nur noch um diesen einen Fehltritt kreisen. Der Ausweg besteht oftmals nur in der „Absolution“ des anderen „Ach das war doch nicht schlimm.“ oder in einer Art „Wiedergutmachung“. Dies ist mitunter die schwierigste Form, da das positive Gefühl welches durch die Einhaltung der inneren Regeln ausgelöst wird oftmals eine Veränderung erschwert.
Fazit
Wie Sie während des Lesens sicherlich festgestellt haben ist es, unter Berücksichtigung dieser vielen möglichen Faktoren, sehr schwierig generelle Hinweise oder Hilfestellungen zu äußern, da in meinen Augen stets die zugrundeliegende Ursache geklärt sein sollte, da dies eine Veränderung in den meisten Fällen stark begünstigt und sich dementsprechend auch die Vorgehensweise individuell verändert.
Was generell jedoch helfen kann, ist sich zunächst in einem der genannten Gründe wiederzufinden und mit diesem Wissen zu versuchen, ob es für Sie bei als bewältigbar empfundenen Situationen möglich sein kann, Verantwortung abzugeben und zu schauen was passiert.
Ganz praktisch gesprochen – Während des nächsten Team Meetings melden Sie sich nicht sofort wenn es um eine zu übernehmende Aufgabe geht, sondern warten erst mal ab, bis sich jemand anders meldet. Lassen Sie es drauf ankommen, auch wenn ihr Gefühl sagt, dass etwas schlimmes passieren wird. Das wird es in 99.9 % der Fälle nicht.
Über diese sogenannte korrigierende Beziehungserfahrung, können Sie lernen dass nichts von dme passiert oder eintritt was sie befüchrten. Allerdings müssen Sie um diese Erfahrung machen zu können, ins kalte Wasser springen. Ich wünsche Ihnen den Mut und die Einsicht dies auf sich zu nehmen.
Alles Gute und eine schöne, erkenntnisreiche Zeit.
/Stephan Schwinnen
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