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ADHS & Selbstfürsorge: Warum ein Leben in Phasen oft hilfreicher ist als feste Strukturen.

  • Autorenbild: Stephan Schwinnen
    Stephan Schwinnen
  • 16. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Was ist ADHS eigentlich?


ADHS – die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – ist eine neurobiologische Besonderheit, die das Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Dabei geht es nicht einfach nur um „Zappeligkeit“ oder Unkonzentriertheit, wie viele meinen. Vielmehr betrifft ADHS das gesamte Nervensystem – und damit auch:


  • Impulskontrolle

  • Emotionsregulation

  • Antrieb und Motivation

  • Organisation und Planung


Viele Erwachsene mit ADHS erleben innere Unruhe, starke Ablenkbarkeit, ein schnelles Ermüden bei Routineaufgaben – oder auch plötzliche Überfokussierung (Hyperfokus) auf bestimmte Themen. Nicht selten wechseln Phasen hoher Energie mit Tagen tiefer Erschöpfung ab.



Der Alltag mit ADHS: Schwankungen gehören dazu


Was für andere wie mangelnde Disziplin wirkt, ist bei ADHS oft ein natürliches Auf und Ab. Die meisten Betroffenen berichten von:


  • Tagen voller Antrieb und Ideen, an denen sie viel schaffen

  • Tagen der Überforderung, an denen scheinbar nichts geht

  • und Momenten emotionaler Reizüberflutung, die wie aus dem Nichts auftauchen


Diese „Achterbahn“ ist anstrengend – vor allem dann, wenn man versucht, sich in ein starres System zu pressen, das für neurotypische Menschen entworfen wurde.



Die Alternative: Ein Leben in Phasen


Ein Ansatz, der sich in der therapeutischen Arbeit immer stärker durchsetzt, ist das sogenannte Phasenleben: ein Alltag, der sich nicht an starren Plänen, sondern an der tatsächlichen Verfassung und Energie orientiert.

Dieser Ansatz bedeutet nicht Chaos oder Willkür – sondern eine feinfühlige Abstimmung mit dem eigenen Rhythmus.


  • „Ich kann mich selbst besser führen, wenn ich erkenne, wann ich gerade führen kann – und wann nicht.“– (Eigene Formulierung aus der Praxis)



So funktioniert ein phasenorientiertes Leben


1. Die aktiven Phasen: Nutzen, was da ist

In manchen Momenten fließt die Energie fast von selbst. Hier ist der richtige Zeitpunkt für:


  • komplexere Aufgaben

  • kreative Projekte

  • Dinge, die sonst schwerfallen

Tipp: Notiere dir, wann du tendenziell aktiver bist (z. B. morgens, nachmittags, eher Anfang oder Ende der Woche).


2. Die passiven Phasen: Druck rausnehmen

Gibt es Tage, an denen du spürst: Heute geht kaum etwas? Statt dich zu verurteilen, erkenne: Das ist kein persönliches Versagen, sondern Teil deines natürlichen Nervensystems.

Was hilft:


  • Spaziergänge

  • Musik hören

  • Kleine Haushaltstätigkeiten (z. B. Wäsche zusammenlegen)

  • Auch mal: Nichts tun – und das bewusst erlauben


3. Flexibler Umgang mit Struktur

Klassische To-do-Listen funktionieren für viele ADHS-Betroffene nur bedingt. Besser sind:


  • Wochen-Übersichten mit „kann, aber muss nicht“-Zielen

  • Visuelle Planer oder Apps mit Erinnerungen

  • Body-Doubling (eine zweite Person ist beim Arbeiten dabei – auch online!)



Was sagt die Wissenschaft?


Immer mehr Forschung belegt: ADHS ist keine reine Aufmerksamkeitsstörung, sondern betrifft vor allem die Steuerung innerer Zustände – also z. B. wie gut man zwischen Ruhe und Aktivität wechseln kann.


  • „ADHS ist eine Störung der Selbstregulation – nicht des Wollens, sondern des Könnens.“– Prof. Dr. Russell Barkley, ADHS-Forscher


Zudem zeigt die Forschung, dass circadiane Rhythmen (also der innere Tag-Nacht-Zyklus) bei vielen Betroffenen verschoben sind – was Schlaf und Tagesform zusätzlich beeinflusst.


  • „Menschen mit ADHS brauchen oft mehr Flexibilität in ihrem Tagesablauf – nicht weniger.“– ADxS.org, Fachportal für ADHS



Wertschätzung statt Optimierungsdruck


Viele Menschen mit ADHS kämpfen ein Leben lang mit Selbstvorwürfen:

„Warum kriege ich das nicht hin?“

„Wieso bin ich so unzuverlässig?“

„Warum schaffe ich nicht, was andere schaffen?“


Dabei steckt oft nicht ein Mangel an Wollen, sondern ein Zuviel an innerer Spannung dahinter. Gerade dann braucht es Mitgefühl – und einen wohlwollenden Blick auf sich selbst.


Beispiel: Andreas, 34, lebte jahrelang mit schlechtem Gewissen: Termine vergaß er, Ordnung fiel ihm schwer, Energie kam und ging. Erst durch die Idee eines Lebens in Phasen erkannte er: „Ich funktioniere nicht linear – aber ich funktioniere. Nur anders.“

Heute plant Andreas in Etappen, erlaubt sich Ruhephasen – und fühlt sich zum ersten Mal nicht mehr falsch.



Fazit: Lebe mit dir – nicht gegen dich


Ein phasenorientiertes Leben ist kein Rückzug vor Verantwortung – sondern ein intelligenter Weg, mit ADHS besser umzugehen. Du darfst:


  • aktive Phasen aktiv nutzen

  • in passiven Phasen bewusst runterfahren

  • flexibel planen statt dich zwingen


Und vor allem: Du darfst so sein, wie du bist. Das ist keine Schwäche – sondern eine andere Art, durch die Welt zu gehen.

Wenn du dich hier wiederfindest, könnte eine individuelle psychologische Beratung helfen. Gemeinsam können wir herausfinden, wie dein Alltag leichter und selbstfürsorglicher werden kann.


▶ Mehr Infos dazu findest du auf meiner Beratungsseite.


Psychologische Onlineberatung
individuell auf Sie zugeschnitten

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